IT im Überfluß
An der Organisation dieses Symposiums am 9./10. Oktober 2008 wirkte ich mit. Hier mein persönliches Fazit:
Die Rechenleistung, die wir heute in der Jackentasche mit uns herumtragen, hätte noch vor 25 Jahren einem Hochschulrechenzentrum zur Ehre gereicht. Anders als damals teilen sich nicht mehr viele Nutzer einen Rechner, sondern der Einzelne verfügt über eine Vielzahl von Systemen - zu Hause, mobil, am Arbeitsplatz, im Café und anderswo.
Diese Beobachtung war Anlaß für das German Chapter of the ACM, zu seinem 40-jährigen Bestehen einen Blick nicht auf den Fortschritt in einzelnen Disziplinen der Informatik zu werfen, sondern die Wirkung des Überflusses an IT in ihrer Breite ins Visier zu nehmen. Top-Experten aus Forschung, Lehre und Wirtschaft fanden sich bereit, zu diesem spannenden Thema Stellung zu nehmen.
Die bisherige rasante Ausbreitung von IT-Lösungen war getrieben von der Entwicklung immer schnellerer Hardware. Moore's Gesetz, nach dem sich die Rechenleistung alle 18 Monate verdoppelt, war eine verläßliche Konstante, auf die man sich bei der Umsetzung von Ideen stützen konnte. Doch - so der Konsens der meisten eingeladenen Referenten - Moore's Gesetz steht vor dem Ende seiner Gültigkeit. Die Miniaturisierung von Bauteilen stößt an physikalische Grenzen, und ein grundsätzliches Umdenken wird nötig sein, wenn man noch weitere Steigerungen erzielen will.
Ob der künftige Fortschritt von einer Revolution der Hardwareentwicklung - Stichworte sind hier etwa Quanten- oder Biocomputer - getrieben werden kann, ist Spekulation. Einige der geladenen Experten raten der Zunft, sich nicht auf immer schnellere und billigere Hardware zu verlassen, sondern das bislang noch ungenutzte Potential bei der Softwarekonstruktion auszubauen. Wo ein einzelner Rechner nicht mehr schneller werden kann, eine Vielzahl von Rechnern jedoch parallel geschaltet werden kann, liegt es nahe, diese Parallelität zur Leistungssteigerung zu nutzen. Doch heutige Software ist nicht so gebaut, daß sie parallelisiert werden kann. Schlimmer noch: die Informatiker sind für Entwicklung solcher Systeme kaum geschult, da man sich bisher auf Moore's Gesetz verlassen hat.
Noch ein Umschwung hat sich bei der globalen Vernetzung ergeben, die es ermöglicht, hohe Informationsmengen fast kostenlos rund um die Welt zu verteilen. Doch auch hier werden in einem zweiten Schritt sorgfältige Lösungen nötig werden. Auf der technischen Seite sind hier etwa Ontologien zu nennen, formale Begriffssysteme, die dazu dienen können, die Informationsbestände unterschiedlicher Systeme gegenseitig verständlich zu machen.
Auf der sozialen Seite ist zu sehen, daß der Umbruch der Arbeitswelt durch die weltweite Vernetzung noch kaum verstanden ist. Traditionelle Bindungen lösen sich auf, und die neu entstandene Struktur ist eher von Zufälligkeit als von geplantem Wollen geprägt. Nicht mehr das Büro als Arbeitsraum legt fest, wer mit wem kommuniziert, wer die gleichen Ziele verfolgt und wer von wem abhängt. An seine Stelle sind verschiedene virtuelle Räume getreten, in denen wir uns zurechtfinden müssen. Die Rolle der Informatiker ist hier zweigeteilt: zum einen sind sie selbst Teil solcher Netzwelten, in denen sie sich zurechtfinden müssen, zum anderen können sie die Mittel liefern, vernetzte Welten begreifbar zu machen.
Auch in dem Verhältnis zwischen IT und ihren Nutzern ist noch Potential zur Verbesserung. Die Lösung liegt hier nicht im Extremen. Eine rein technikgetriebene Entwicklung führt zu Systemen, die von ihren Nutzern nur zum geringen Teil verstanden und genutzt, gleichzeitig als unzuverlässig und unsicher wahrgenommen werden. Doch auch Entwicklungen strikt nach Benutzervorgaben sind nicht immer von Erfolg gekrönt, wissen doch die Nutzer komplexer Technik selbst nicht, was diese zu leisten vermag und wo mögliche Fallstricke sind. Die Informatik ist ursprüngich angetreten als Bindeglied zwischen der Technik und ihrer Nutzung, und sie wird sich, nachdem sie nun etliche Jahrzehnte Zeit hatte, ihre Grundlagen zu erforschen, stärker nach außen wenden müssen.
Allen diskutierten Themen ist eines gemeinsam: Informatiker sind keine Programmier-Eremiten. Ihre Aufgabe erschöpft sich erst, wenn sie sich als Dolmetscher zwischen den Bedürfnissen der privaten und beruflichen Nutzer und der Welt der Technik verstehen. Hier sind Lehre und Industrie gleichermaßen gefragt, das einseitige Berufsbild schon der Jugendlichen zu korrigieren und die Informatik als Disziplin zu zeigen, von der die gesamte Welt durchdrungen ist und die sich demnach auch für die gesamte Welt interessieren soll.
Prof. Dr. Martin Welsch, IBM Deutschland
Peter Zimmermann, Landesbeauftragter für den Datenschutz Baden-Württemberg
Dr. Stuart Feldman, Vice President, Google
Thomas Matzner (Moderation)
Jochen Burkhardt, IBM Deutschland
Prof. Dr. Albert Endres, TU München
Prof. Dr. Harald Heinecke, Geschäftsführer BMW Car IT
Prof. Dr. Klaus Mainzer, TU München